Sewlution Am 24. April jährt sich der Einsturz des Textilfabrikgebäudes Rana Plaza* zum achten Mal. Diese Katastrophe hat der breiten Öffentlichkeit 2013 erstmals Einblick in die ebenso tragischen sozialen Umstände der Textilproduktion im globalen Süden gegeben – dort, wo der Großteil textiler Erzeugnisse noch immer produziert wird. Mit der Klimakrise werden uns nun zusätzlich die ökologischen Auswirkungen der textilen Massenproduktion schmerzlich bewusst.
Um Missstände aufzuzeigen, zu bekämpfen und einen globalen, ökologischen und sozialen Standard zu erreichen, verschafft sich die Bewegung Fashion Revolution seit dem Unglück Rana Plaza Gehör. Teil dieser wachsenden Bewegung sind Marken, Designer, Produzenten, Autoren, Politiker, Modebegeisterte und auch immer mehr Hobby-Näher*innen.
Auch wir können Teil der Sewlution sein
Denn auch unser Handeln als Liebhaber*innen von schönen Stoffen und enthusiastischen Näher*innen ist ein Teil des Problems. Das Problem heißt Konsum. Selbst wenn wir vielleicht bereits auf Fast Fashion verzichten, weil wir mittlerweile wissen, wie viel Arbeit in einem Kleidungsstück steckt. Auch unsere selbstgenähten Garderobe durchläuft, bevor sie uns unter die Nadel kommt, noch die Hälfte der textilen Kette. Denn zuvor wurden:
- Rohstoffe an- und gebaut
- Fasern gewonnen
- Garne gesponnen
- Textile Flächen verarbeitet
- Veredlungen vorgenommen

Was wir oft vergessen, ist, dass wir mit denselben Impulsen wie die der Fashion-Industrie beeinflusst werden – wir kaufen Trends. Stoffe werden in saisonalen Kollektionen entwickelt, egal ob für die Mode- oder Handarbeitsbranche und wir gewöhnen uns mehr und mehr an Dumping-Preise. Auch Schnittmuster orientieren sich häufig an Ready-to-wear-Modellen und wir sind durch die sozialen Medien auch im Fokus auf unser Hobby permanenter Werbung ausgesetzt. Deswegen konsumieren wir häufig genauso impulsiv – und horten und nähen mehr, als wir vielleicht brauchen. Abgesehen davon, fällt es bei solch massiven Eindrücken schwer, den eigenen Stil zu verfolgen, was so Vielen ja eigentlich ein großes Ziel beim Nähen ist.
Auch wenn wir mit Stolz sagen können, dass wir es waren, die sich für das neue Frühlingskleid die Nächte um die Ohren geschlagen haben, ist es doch endlich an der Zeit, auch ruhigen Gewissens sagen zu können, dass wir für dieses Kleid Materialien verarbeitet haben, die unter den richtigen ökologischen und sozialen Bedingungen produziert wurden. Das ist die Sewlution.
Die nicht aus Monokulturen stammen, keine Gewässer gekippt und keine Arbeiter ausgebeutet oder ihre Gesundheit gefährdet haben, damit wir sie vernähen können.
Materialien mit diesen Vorraussetzungen sind noch gar nicht so leicht zu finden; auch Stoffe und Wolle werden noch viel zu häufig auf Masse produziert und das sehr häufig mit einem Qualitätsanspruch, der ebenfalls der Fast Fashion gleich kommt: sie sind nicht für eine lange Tragedauer gemacht.
Es ist ein schmerzhafter Lernprozess zu sehen, wie die aufwändig selbstgenähten Kleidungsstücke pillen, ausdünnen, reißen und irgendwann keiner Reparatur mehr Stand halten.
Am Ende landen auch sie im Müll und da wir hauptsächlich mit Fasermischungen arbeiten sind diese noch nicht einmal recyclebar.
Neben einem höheren Qualitätsanspruch an unsere Materialien wäre ein weiteres Ziel also, unsere eigenen Werke so bewusst wie möglich zu wählen, planen, und wertzuschätzen – all das, um uns eine Garderobe zu erschaffen, die solange wie möglich im eigenen Kreislauf bleibt – oder?
Was also können wir tun? What is The SEWLUTION?
- Informieren
- Aktuell können wir die Fashion Revolution Week zu nutzen, um uns über die Missstände in der Textilproduktion zu informieren. Und immer wieder zu reflektieren, inwiefern wir als Hobby-Näher involviert sind. Darüber hinaus gibt es diverse Artikel, Reportagen und Initiativen, die uns dazulernen lassen. Auch wenn dieser kritische Blick unbequem ist, weil wir unser Hobby doch mit so vielen positiven Gefühlen verbinden, ist es wichtig zu verstehen, dass sich auch in unserem Handeln etwas ändern muss. Und es ist unsere Entscheidungskraft, die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen. Dafür braucht es wenig; es geht „nur“ um unseren Konsum.
- Hinterfragen und verstehen, womit wir arbeiten: woraus bestehen meine Materialien
2. Bewusster konsumieren
- günstige und kurzzeitige Stoffangebote sind eine große Verführung, doch oft sind das genau die Stoffe, die auf Ewig unser Lager hüten – und gleichzeitig haben wir mit unserem Kauf die Nachfrage nach dieser oft geringen Qualität erhöht. Statt einige Aktionsstoffe ohne Plan im Kopf zu kaufen, sollten wir uns erst auf die Suche machen, wenn das Näh-Projekt konkret wird. Und auch dann hinterfragen, ob die Farbe/ das Muster langfristig in unsere Garderobe passt.
- Die Suche nach nachhaltigen, fairen Alternativen. Das ist gar nicht so leicht, bisher gibt es noch relativ wenige Shops mit diesem Fokus. Wenn man keine Informationen zur fairen und ökologisch korrekten Produktion des Stoffes beim Händler einsehen kann – sollten wir nachfragen! Je mehr Konsumenten Transparenz einfordern, desto mehr hinterfragen die Händler auch ihre eigene Lieferkette – und langfristig ihr Angebot. Die Fashion Revolution hat aktuell sogar eine Vorlage, um die Händler im Netz direkt durch Verlinkung zu fragen: Who made my fabric?
3. Bewusster nähen/ stricken
- Überlege Dir vor dem Nähen, ob dieses Kleidungsstück noch in deinem Schrank fehlt. Oder fange an, Aufträge entgegen zu nehmen und für andere zu nähen, die deine Handarbeit mit Wertschätzung tragen, um dein Nähfieber zu stillen.
- Wenn Du nach neuen Projekten suchst, nimm sie als Herausforderung, Neues zu lernen und:
Lass-Dir-Zeit! Du nähst für dich und nicht die sozialen Medien – da sollte jede Naht mit Sorgfalt genäht werden. - Nähe für die Kids lieber 1-2 Größen größer, damit sie die Kleidung länger tragen können.
- Nimm Dir die Zeit, Anpassung zu lernen; es ist die sinnvollste Investition in dein liebstes Hobby, denn Du kannst dir die Kleidung endlich wirklich „auf den Leib schneidern“ und sie somit noch mehr wertschätzen.
- Halte deine Näh- und Strickprojekte in einem Notizbuch fest, so kannst Du Fehler beim nächsten Mal vermeiden und erinnerst dich, welche Stoff-/ Wollqualitäten sich bewährt haben und wo Du sie gekauft hast.
4. Den eigenen textilen Kreislauf so lang wie möglich aufrecht erhalten
- Vorhandene Ressourcen zu nutzen ist ein guter Anfang! Deswegen gibt es stoffetauschen.com.
- Nutze deine Materialien auch für kleinere Projekte bis zum letzten Rest (#lessrest), um so wenig
Fasermischungen wie möglich in den Abfall zu werfen. - Pflege deine Kleidung richtig.
- Repariere deine Kleidung so lange wie möglich.
- Upcycle kaputte Kleidung zu Kinderkleidung, #lessrest Projekten oder Patchworkarbeiten.
- Gib auch selbstgenähte Kleidung weiter, wenn du sie nicht mehr trägst.
All das ergibt einen nachhaltigen, bewussten Konsum beim Nähen. Und hält uns trotzdem nicht davon ab, dem schönsten Hobby der Welt nachzugehen, oder? Was meinst Du – bist Du bereit für eine ganz persönliche Sewing Revolution? Wenn Du dich in diesen Gedanken wiederfindest, nutze doch gern das „be part of the sewlution“ Beitragsbild oder die Vorlage auf Instagram, um andere Hobby-Näher anzuregen, auch ihren Konsum in dieser Fashion Revolution Week zu hinterfragen.
Schreib‘ gern einmal in die Kommentare, wo Du jetzt stehst und welcher dein nächster Schritt zum Nachhaltigen Nähen wäre oder auch, wie Du die Liste oben noch ergänzen würdest!
* Rana Plaza: Am 24. April 2013 stürzte das achtstöckige Textilfabrikgebäude Rana Plaza in Bangladesh ein, ein Unglück, das 1134 Menschen in den Tod riss und 2400 Menschen schwer verletzte. Dieses Ereignis und die Stimmen der Überlebenden hielten der Öffentlichkeit erstmals bewusst vor Augen, unter welchen Umständen der Großteil unserer Kleidung im globalen Süden produziert wird; ohne Gebäude- und Arbeitsschutz und oft nichtmal mit existenzsichernden Löhnen. Die Arbeitszeiten richten sich nach der Auftragslage, nicht nach dem gesundem Pensum und Kinderarbeit ist keine Ausnahme.
Durch die Industrielle Revolution haben sich diese Faktoren; Arbeitssicherheit und Arbeitszeit; Ruhephasen; Anspruch von Urlaubs- und Krankentagen; ein Lohn, der nicht mehr nur ein Mindestlohn ist, sondern einen der Landes-Wirtschaft angepassten, existenzsichernden Lohn darstellt, begonnen in vielen Teilen der Welt zu regeln. Für uns heute ganz selbstverständlich, für viele Menschen immer noch eine Utopie. Durch die Globalisierung sind aber genau diese Faktoren in einem Großteil der Produktionsländer unserer Konsumgüter durch die steigende Nachfrage im absoluten Missverhältnis.
Die Arbeiter in Rana Plaza sind nur ein Teil der textilen Kette, die dort verarbeiteten Kleidungsstücke hatten bereits einen Weg durch viele andere Fabriken hinter sich und es sollte auch nicht der letzte Stopp sein. Vom Anbau der Rohstoffe, zur Stoffproduktion bis zum letzten Knopf sind teilweise hunderte Hände an nur einem Kleidungsstück beschäftigt. All diese Hände arbeiten unter Bedingungen die nur schwer nachzuvollziehen sind. Sich diesen komplexen Vorgang vor Augen zu halten ist fast unmöglich, die Transparenz dafür wird aber endlich dringend eingefordert – durch das viel diskutierte Lieferkettengesetz.
Hallo Lotta,
vielen Dank für diesen interessanten Beitrag zu diesem sehr wichtigen Thema. Toll fand ich, dass Du auch außerhalb der Aktionswoche Möglichkeiten zum bewussterem Konsum aufgezeigt hast.
Hast danach gefragt, wo wir uns aktuell sehen und was unsere nächsten Schritte sind:
Ich versuche schon länger darauf zu achten aus welchen Materialien, die Stoffe, die ich kaufe, sind und schaue, ob es den gewünschten Stoff nicht auch mit einem Zertifikat z.B. GOTS gibt. Jedoch ist es natürlich besser, wenn man gar nicht erst neue Stoffe kauft. An dem Punkt muss ich noch an mir arbeiten. Wobei ich, seit ich auf Stoffe mit Zertifikat umgestiegen bin, schon weniger kaufe … alleine schon aufgrund des Preises, der höher ist (was ja in dem Fall gerechtfertigt ist).
Ich freue mich, dass es in den letzten Jahren immer mehr Stoffläden in Deutschland gibt, die Wert auf die Herkunft der Stoffe legen und natürlich, dass es dank Euch eine Plattform gibt, mit der ungeliebte Stoffe ein neues Zuhause finden (und dort dann hoffentlich verarbeitet werden) 🙂
Lieber Gruß,
Muriel
Liebe Muriel,
vielen Dank für dein Feedback!
Du bist da ja schon bei einem sehr bewusstem Umgang angekommen! Umso schöner wäre es doch, würde man die Stoffläden mit ökologisch und fairem Fokus leichter finden und nicht so massiv von der Werbung anderer Händler „verführt“ werden…
Ich habe erst begonnen GOTS Stoffe zu kaufen. Dann kam Upcycling aus Altkleidern dazu. Irgendwann wurde das Upcycling zur Regel und inzwischen kaufe ich nur noch selten GOTS Stoff und wenn dann sowieso immer projektbezogen oder zur zeitnahen Verarbeitung.
GOTS kaufe ich vor allem auch deshalb weil ich dadurch zumindest ein bisschen Mindeststandards für die produzierenden Menschen und die Umwelt erfüllt habe.
Es gruselt mich wenn ich mir vorstelle, dass meine Kinder Kleidung aus Stoff tragen, den irgendwo andere Kinder produziert haben könnten oder an dessen Färbung andere Menschen erkranken.
Das Krasseste aber fand ich ja den Aralsee, der unter anderem durch konventionelle Baumwollproduktion weiträumig ausgetrocknet wurde.
Liebe Yvonne, vielen Dank für deinen Beitrag!
Da bist Du ja schon einen großen Schritt gegangen! Upcycling finde ich auch so spannend, eine tolle Möglichkeit, ungenutztem ein zweites Leben zu schenken.
Ja, bezüglich der Kinderkleidung haben wir das gleiche Aha-Erlebnis!
Leider werden uns Missstände ja oft erst bewusst, wenn bereits eine Katastrophe passiert ist…
toller artikel. da kommt man wieder ins grübeln…. ich möchte mir ab ind zu jetzt oberteile nähen…. mal sehen ob es klappt.